Niemand, egal wie gut in der Spielebranche vernetzt, hatte die beiden ersten großen Überraschungshits des Jahres auf dem Schirm. Zum einen ist da Palworld, ein Online-Rollenspiel, das umschrieben als „Pokémon mit Waffen“ nach nur wenigen Wochen über eine Millionen Verkäufe geknackt hat.
Das japanische Entwicklerteam Pocketpair geriet schnell für die Ähnlichkeit seiner Kreaturen zur Pokémon-Welt in Kritik, das schmälerte allerdings nicht den Erfolg des ungewöhnlichen Spiels: Wilde Kreaturen können nicht nur wie beim großen Taschenmonster-Vorbild gefangen und trainiert, sondern auch zum Ressourcenabbau ans Fließband abgestellt oder zu Tode gepeitscht werden. Das ist ganz schön makaber, aber kommt bei den Fans – womöglich auch gerade deswegen – gut an.
Der zweite Überraschungserfolg des Jahres heißt Balatro und ist nur auf den ersten Blick ein klassisches Pokerspiel. Tatsächlich verbirgt sich hinter dem für Kartenfans vertrauten Anblick ein hochkomplexer Deckbuilder, in dem mit Hilfe von Tarotkarten, Jokern und natürlich auch klassischen Spielkarten Synergien auf dem Pokertisch zu schaffen und möglichst hohe Kombi-Highscores zu erzielen.
Das begeisterte nicht nur Spielerinnen und Spieler, sondern auch die Fachpresse, die vorübergehend einen so hohen Wertungsschnitt zusammenbrachte, dass Balatro in die Metacritic-Höhen von GTA 4, Baldur’s Gate 3 und Elden Ring aufsteigen konnte – ein surrealer Traum für den kanadischen Solo-Entwickler „Localthunk“, der auf Social Media seine Ungläubigkeit teilte.
Ein Herz für Bizarres
So unterschiedlich die beiden Spiele auch sind, so sehr eint sie eine Gemeinsamkeit: Sie sind anders als die anderen, überraschen mit einfallsreichen Twists und Kniffen in ihrer Präsentation oder den Spielmechaniken. Und davon gibt es da draußen noch viel, viel mehr, das nur auf seine Entdeckung wartet.
Da wäre zum Beispiel I Live Under Your House, ein Genre-Mix aus Textadventure und Schleichsimulator, in dem wir ein Monster spielen, das unter dem Haus eines nichtsahnenden Opfers lebt. Wir fressen kleine Tiere wie Würmer oder Mäuse und lauschen dem Leben, das über uns in den vier Wänden stattfindet. Bis sich eines Tages eine Erkenntnis in unserem Monsterhirn manifestiert: Irgendetwas fehlt im Leben. Und das wollen wir uns holen.
Ihr merkt an dieser vorsichtigen Spielbeschreibung, dass dieser Titel am besten ohne allzu viel Vorwissen genossen werden sollte. Es ist eine dieser experimentierfreudigen Spielerfahrungen, die noch sehr viel mehr Themen verhandeln als nur den Alltag eines Monsters unter einem Haus. Es geht um Einsamkeit und Liebe, um Sadismus und das Groteske – für nicht mehr als zwei Euro und mit etwa einer halben Stunde Spielzeit.
Wer weniger Grusel und trotzdem ein paar seltsame Stunden erleben möchte, ist bei Frog’s Adventure gut aufgehoben: Das niederländische Entwicklerkollektiv Sockpop Collective erzählt hier die Geschichte eines Frosches, der auf einer wichtigen Mission ist – nämlich die anderen Tiere von dem Fluch des eigenen Gehirns, bewusster Gedanken und Grübeleien zu befreien. Inszeniert wird diese ungewöhnliche Mission als klassisches Adventure in handgezeichneiten Farbstiftkulissen, die einen kinderfreundlichen Look ergeben.
Wem das gefällt, der sollte auch einen Blick auf das übrige Portfolio des Entwicklerteams werfen, die sich einen besonderen Kniff überlegt haben, praktische Erfahrungen in der Spieleentwicklung zu sammeln: Über einige Monate hinweg veröffentlichten sie jede Woche ein neues Game, das technisch funktioniert und einen einzigen, besonderen Twist auf vertraute Spielmechaniken anbietet.
Aus diesem Vorhaben sind mittlerweile über 100 Spiele entstanden, von den einige kleine Überraschungserfolge für das Team waren. Darunter zählt das Fotografierspiel Berry People, in dem zum leben erweckte Waldbeeren mit einer Kamera abgelichtet werden müssen, und Stacklands, eine Aufbausimulation, die ausschließlich mit Spielkarten gespielt wird.
Frischer Perspektivwechsel
Für zwei weitere ungewöhnliche Spiele nehmen wir einen Perspektivwechsel ein. Zuerst schlüpfen wir in die fellige Haut einer orangenen Hauskatze namens Aspen, die in „Cats and the Other Lives“ über ein Jahrzehnt lang mit ansah, wie ihre Adoptivfamilie allmählich zusammenbrach und sich zerstritt. Nun, zum Tod des Familienpatriarchen, kommen die verbliebenen Angehörigen wieder im alten Zuhause zusammen – und wir verfolgen alles als schnurrender Beobachter unmittelbar mit.
Unsere Rolle als Katze ist dabei nicht nur ein ungewöhnliches Kostüm für die Spielfigur, sondern darf auch tatsächlich ausgespielt werden: Wir stöbern Familienmitglieder anhand ihres Geruchs in der großen Villa auf oder stören das gemeinsame Abendessen, in dem wir Geschirr vom Tisch stupsen – und damit womöglich eine angespannte Gesprächssituation entschärfen können. Auf diese Weise nehmen wir indirekt Einfluss auf die Familienmitglieder und ihre Beziehungen zueinander und entscheiden so, ob wir ihnen helfen wollen, wieder zusammenzufinden – oder einfach nur Chaos stiften. Immerhin sind wir eine orangene Katze.
Schließlich springen wir in der letzten Empfehlung dieser Kolumne in eine alltägliche Situation, die uns allen wohl schon einmal passiert ist: Es sollte nur ein Nap werden, geriet aber zum viel zu langen Mittagsschlaf und katapultierte die junge Frau Margo augenblicklich aus ihrer Tagesroutine. Nun, frisch erwacht und noch ziemlich neben sich, muss sie eigentlich nicht mehr tun, als sich von ihrem Mitbewohner zu verabschieden und zur Uni zu gehen. Das allerdings ist schwieriger als gedacht – nicht nur, weil der Kopf nach der unfreiwillig langen Schlafpause hartnäckig benebelt bleibt.
Das Adventure im psychedelischen Comicstil erzählt nämlich noch viel mehr als nur vom Alltag einer Studentin: Es geht um Erfolgsdruck, Zukunftsangst, mentale Gesundheit und die Frage, ob Cornflakes mit kalter oder warmer Milch besser schmecken. Die Spielerinnen und Spieler, die den Titel der Solo-Entwicklerin „ygretz“ aus dem Jahr 2022 bereits entdeckt haben, streiten sich im Kommentarbereich, ob das Spiel nun hoffnungsvoll oder hoffnungslos sei.
Ich empfehle, das selbst herauszufinden und den kostenlosen Titel mit einer Laufzeit von rund einer halben Stunde einfach auszuprobieren. Er und die vielen anderen Nennungen in dieser Kolumne, haben die Aufmerksamkeit wegen ihrer einzigartigen und bizarren Ideen mehr als verdient.
Das ist der korrekte Link zu Margo: https://store.steampowered.com/app/2245890/Margo/
Und was ist diese curator_clanid in den anderen Links?
Mal wieder typisch nur Windoof und MacOCrap, aber keine Linux-Version. Und ob es mit ein bisschen Wine funktioniert, muss ich selbst rausfinden.
Danke, ist ausgetauscht. Und das curator-Zeug hab ich entfernt.
Unter Steam laufen inzwischen die große Mehrzahl aller Windows-Spiele unter Linux wegen Proton, dem Valve-eigenen Wine-Fork, problemlos unter Linux-Distributionen. Da das Steam Deck SteamOS, das Linux-basiert ist, als Betriebssystem nutzt, hat Valve meines Empfindens nach große Anstrengungen unternommen, das auch die Spiele laufen, die keine nativen Linux-Versionen haben.
Klar würde ich es auch bevorzugen, wenn die Studios nativ für Linux entwickeln. Aber ganz ehrlich, das kann man vielleicht den großen Studios vorwerfen, aber Indie-Entwicklern (Margo wurde nicht von einer einzigen Person entwickelt) eher nicht.
“ laufen inzwischen die große Mehrzahl aller Windows-Spiele unter Linux“
Vgl. auch hierzu das Stichwort „Lutris“.
Als Indie-Entwickler würde ich mir natürlich nicht selbst eine Game-Engine zusammenbasteln. Das dürfte mindestens soviel Aufwand sein, wie das Spiel selbst. Und in der Tat hat ygretz Construct 3 benutzt:
https://ygretz.itch.io/margo/devlog/440871/the-making-of-margo
https://en.wikipedia.org/wiki/Construct_(game_engine)
Construct 3 ist sogar für absolute Anfänger geeignet mit visuellen Programmieren. Es unterstützt HTML 5, Windows, MacOS und Linux. Da sollte die Linux-Version des Spiels nicht weiter entfernt sein als die MacOS-Version, dass heißt ein paar Mausklicks.
Sich jetzt noch ein Linux auf dem Rechner zu installieren, ist auch nicht die Welt. Und moderne Linux-Desktops sind auch nicht die Welt, vor allem wenn es darum geht ein Spiel zu testen, dass heißt zu starten und einmal zu spielen. Bei einer Standard-Engine erwarte ich da keine Probleme.
Wohl das einzige, was fehlt, ist das Bewusstsein für Linux, dass es das überhaupt gibt.
Der letzte Link („die junge Frau Margo“) führt auch zur Steam-Seite „Cats and the Other Lives“. Vielleicht ändert Ihr das ja noch.
Der Margo-Link verweist auch auf die orangene Katze. Hier ist der richtige: https://store.steampowered.com/app/2245890/Margo
Der Link zu Margos Spiel ist falsch.
Danke für die Anregungen. Der Link auf die junge Frau Mango führt auf den Katzentitel.